Auf dem ehemaligen Gelände der Burg Edo, im heutigen Kitanomaru-Park, befindet sich eine achteckige Halle von geradezu legendärem Ruf. Die Nippon Budokan. Unzählige Menschen zieht es jedes Jahr in diese Halle, obwohl es sich eigentlich nur um ein schlichtes Gebäude aus Beton handelt. Architektonisch ist die Budokan wenig aufregend, viel wichtiger ist, was in der Halle passiert. Fertiggestellt wurde die Budokan im Jahr 1964 und war damals geplant als Austragungsort für die Judowettkämpfe der Olympischen Spiele in Tokio. An dieser Art der Verwendung hat sich bis heute nichts geändert, noch immer gibt es in der Halle Wettkämpfe in verschiedenen Sportarten. Außerhalb Japans wurde die Budokan allerdings weniger durch den Sport, sondern durch die dort stattfindenden Konzerte bekannt. Die Liste der Künstler, die in der Budokan gespielt haben, ist lang und beinhaltet Namen wie ABBA, Eric Clapton, The Beatles und Bob Dylan. Noch heute ist ein Auftritt in der Bukokan ein Ziel für viele aufstrebende Musiker in Japan. Es ist nicht die größte Halle in Tokio, aber die bekannteste. Von vielen Künstlern gibt es ein "Live at Budokan" Album.
Ein sonniger Tag am Nippon Budokan
Fans von LiSA warten geduldig vor der Halle
Bei unserem ersten Besuch in Tokio wollten wir uns den Ort genauer ansehen und ein Besuch bei der Budokan ist ein Ausflug, den man empfehlen kann. Zwar ist die Halle ohne ihre historische Bedeutung wenig spektakulär, der weitläufige Kitanomaru-Park bei gutem Wetter aber ein angenehmer und ruhiger Ort. In direkter Nachbarschaft liegen der Yasukuni Shrine und das Yushukan Militärmuseeum. Die nächstgelegene U-Bahn-Station ist Kudanshita, die von drei Metro Linien angefahren wird. Eintrittskarten für eine Veranstaltung im Budokan, hatten wir erst bei unserer zweiten Reise. Genau genommen haben wir die Reise auf Grundlage des Termins geplant. Es war ein Konzert des japanischen Sängerin LiSA und die Tickets wurden über die Facebook Seite der Künstlerin angeboten. Das war ungewöhnlich, in der Regel sind solche Konzertkarten außerhalb Japans nur schwer zu bekommen. Oft ist eine Postanschrift in Japan erforderlich oder die Webseite, wo man die Karten kaufen könnte, ist ausschließlich in japanischer Sprache. Manchmal ist eine Mitgliedschaft im Fanclub des Künstlers nötig, weil die Nachfrage so hoch ist. Warum es für dieses Konzert anders war, haben wir nie erfahren. Aber unsere Bestellung hat problemlos funktioniert.
Obwohl das Konzert erst am Abend stattfinden sollten, bekamen wir von unsere guten Freundin Natalie den Rat, früh zur Bukodan zu fahren und uns rechtzeitig an den Ständen der Fanartikel anzustellen. Später, so sagte sie, wären viele Dinge ausverkauft. Ich hielt diese Aussage für Unsinn, trotzdem machten wir uns früh auf den Weg zum Kitanomaru-Park, wo wir am späten Vormittag ankamen. Und wir waren dort nicht alleine! Tatsächlich hatten sich bereits mehrere hundert Fans vor der Halle versammelt und nach kurzer Zeit stellten wir uns in der Schlange für die Fanartikel an. Es dauerte mehrere Stunden, bis wir endlich an der Reihe waren und am Ende verließen wir die Stände mit einigen T-Shirts, Schlüsselanhängern, einem Handtuch und selbstverständlich einem Leuchtstab. Leuchtstäbe sieht man bei fast allen japanischen Popkonzerten, es gehört dazu, als begeisterter Fan während der Veranstaltung damit zu winken. Die Leuchtstäbe sind auch für jeden Künstler unterschiedlich und werden oft speziell für ein Konzert oder eine Tour hergestellt. Somit haben sie einen gewissen Seltenheitswert, zumindest für Fans. Besonders ausgefallene Leuchtstäbe können sogar vom Veranstalter ferngesteuert werden, damit alle Stäbe zeitgleich in der gleichen Farbe leuchten. Immer passend zum gespielten Lied. Diese Funktionen hatten die Leuchtstäbe der en-core Tour von LiSA nicht. Wir hatten noch die Aufgabe, die Farben selbst zu wechseln.
Leuchtstäbe zur en-core Tour von LiSA
Die Verkaufsstände für die Fanartikel
Wenn ich sage, wir hatten Eintrittskarten, so war das nicht ganz richtig. Wir hatten Bestellbestätigungen und Rechnungen für unsere Eintrittskarten. Die Tickets selbst mussten wir noch abholen. Aber wo? Unser erster Weg führte uns zum Stand des LiSA Fanclub, doch helfen konnten uns die Mitarbeiter dort nicht. Bewegung kam in die Angelegenheit erst, als wir uns an einen der Ordner wandten. Ein junger Mann in einem schwarzen Anzug, der ein großes Schild trug. Leider konnte uns dieser Ordner selbst auch nicht helfen, aber er fragte einen Kollegen. Daraufhin wurden wir Zeugen eines etwas lauteren Gespräches, dessen Inhalt ohne Kenntnisse der japanischen Sprache für uns erkennbar waren. Es muss sich wie folgt abgespielt haben: »Was, diese Gäste haben noch keine Tickets? Wie kann das sein? Die gibt es dort drüben! Du nimmst jetzt die Leute und gehst mit ihnen dort hin. Los! Los! Beeilung! Und gib mir dein Schild!«
Der Ordner signalisierte uns, ihm zu folgen und gewissenhaft drehte er sich ständig nach uns um, ob wir es auch taten. Weit war der Weg nicht, vielleicht 30 Meter. An einer Kasse, direkt an der Halle konnten wir unsere Bestellbestätigungen gegen echte Tickets tauschen. Nur unsere Reisepässe mussten wir vorzeigen. Unter normalen Umständen hätten wir die Kasse mit Sicherheit selbst entdeckt, aber an diesem Tag war sie durch Blumengebinde und Luftballons verdeckt. Das waren Geschenke der Plattenfirma und anderer Organisationen, denn die Sängerin LiSA hatten wenige Tage zuvor Geburtstag. Jetzt hatten wir unsere Tickets und an diesem Tag habe ich von Natalie ein japanisches Wort gelernt: アリーナ, was »Arena« bedeutet, und das stand auf den Tickets. Wir waren also in der Arena der Halle untergebracht. Das sollte uns nah zur Bühne bringen. Sehr gut! Wenig später entdeckten wir einen anderen Ordner, der ein Schild hielt, auf dem genau die gleichen Symbole zu sehen waren. Scheinbar mussten wir uns dort anstellen, um in die Arena zu gelangen. Genau so funktioniert es. Wenn man kein japanisch kann, muss man eben die Symbole vergleichen.
Der Einlass in die Halle funktioniert problemlos. Ich glaube, es gab eine Taschenkontrolle, aber ich kann mich mehr genau erinnern. Die Aufregung war in dem Moment zu groß. Wir folgten der Menschenmenge durch einen langen und dunklen Gang und fanden uns am Ende tatsächlich in der Arena der Budokan wieder. Unsere Sitzplätze waren schnell gefunden, denn der komplette Innenraum war bestuhlt. Dort sassen wir nun und warteten auf die Dinge, die kommen sollten. An der Decke der Halle war eine große japanische Flagge aufgehängt und an den Wänden waren Schilder mit dem Hinweis, während des Konzertes sitzenzubleiben. »Na, das kann ja was geben!« dachte ich in diesem Augenblick. Das Konzert sollte um 18 Uhr beginnen und es begann präzise Punkt 18 Uhr. Japanische Pünktlichkeit. Das Licht ging aus und 10.000 Japaner sprangen von ihren Sitzen! Die Aufforderung, sitzen zu bleiben, hatte nicht funktioniert. Von der ersten Sekunde an spielten die Fans verrückt und hielten diesen Zustand zwei Stunden durch. Die unzähligen Leuchtstäbe verwandelten die Ränge und die Arena in ein Lichtermeer. Und wir mittendrin!
Ein Lichtermeer (Offizielles Foto)
Das Konzert in voller Fahrt (Offizielles Foto)
Es mag etwas befremdlich wirken, ein Konzert zu besuchen, auf dem in einer Sprache gesungen wird, die man nicht versteht. Aber unserer Stimmung schadete das nicht. Wir kannten LiSA und ihre Lieder gut genug, um den Inhalt zu verstehen. Leider tun sich japanische Musiklabels immer noch etwas schwer damit, Textübersetzungen anzubieten, sodass diese Arbeit oft bei den Fanclubs hängenbleibt. Es war eine großartige Show, mit allem, was man von einem Popkonzert in Japan erwarten kann. Musik, Tanz, Lichteffekte und zahllose Kostümwechseln. Besonders gut in Erinnerung geblieben ist mir das etwas ruhigere Lied »Wish« bei dem LiSA selbst Gitarre spielte und dabei eine Art Brautkleid trug. Lieder japanischer Popmusik sind oft in einem höheren Tempo, als wir das von europäischer und amerikanischer Musik gewöhnt sind. Außerdem ist es nicht ungewöhnlich, wenn Lieder direkt mit einem hohen Tempo starten, statt langsam anzusteigen. Es ist energiegeladene Musik für gute Laune. LiSA singt immer mit vollem Einsatz, als ginge es um ihr Leben! Als wir die Halle nach Abschluss des Konzertes verließen, war unser Puls und unser Adrenalinspiegel über normalen Werten.
Zu unserer Überraschung war wir nicht die einzigen Ausländer unter den Konzertbesuchern. Bereits während wir noch vor der Halle warteten, hatten wir uns mit einer Gruppe Koreaner angefreundet. Nach der Veranstaltung gingen wir gemeinsam in ein Restaurant, um den Abend abzuschließen. Musik verbindet und es war beruhigen zu erfahren, dass wir nicht die Einzigen waren, die für ein Konzert eine Flugreise buchen. Zwar ist es von Korea nach Japan nicht so weit wie von Deutschland aus, aber einer der jungen Männer unsere Gruppe war aus San Francisco angereist. Ein Jahr später sollten wir LiSA erneut sehen. Bei einem Konzert in Yokohama.
Es ist nicht ungewöhnlich, wenn große Konzerte namhafter Künstler auf DVD oder BluRay veröffentlich werden. Und so hofften wir auf Veröffentlichung der Show aus der Budokan. Michael, ein riesiger LiSA Fan, ging sogar noch einen Schritt weiter. Vor dem Konzert verkündete der mehrmals: »Ich muss auf diese BluRay, selbst, wenn ich dafür nackt über die Bühne laufen muss!« Diese Aussage ist ein Paradebeispiel für den Unterschied der Kulturen. Die Japaner verstehen unseren Humor nicht. Nami, eine gute Freundin aus Tokio, erwiderte Michaels Aussage mit einen erschrecktem »Tu das nicht! Du wirst verhaftet!« Letztendlich erschien zur en-core Tour von LiSA tatsächlich eine BluRay und wir sind wirklich darauf zu sehen. Sogar zwei Mal. Michael musste dafür jedoch nicht nackt über die Bühne laufen und es wurde auch Niemand verhaftet.
Die ausverkaufte Budokan (Offizielles Foto)
Geschrieben am: 12.12.2020 Tags: Japan, Tokio, Reisen, Asien